Zu keiner Zeit im Jahr dürfte es schwieriger werden, Stille zu finden, als in der so genannten „staden Zeit“, im Advent. „Früher“ war es wahrscheinlich wirklich einmal eine recht stille Zeit, „früher“, als das Leben noch von den Rhythmen der Natur und der Landwirtschaft geprägt war. Der Schnee bedeckte die Landschaft und dämpfte die Geräusche. Zusammen mit der Kälte schränkte er die Bewegungen der Menschen wie der Tiere ein, die sich alle so gut es ging in einen schützenden Raum zurückzogen und ihre Tätigkeiten auf ein notwendiges Minimum zurückschraubten. Schon um Energie zu sparen, Lebensenergie, die benötigt wurde, um über die kalte Jahreszeit zu kommen. Die Vorräte mussten über den Winter reichen. Eine lange Zeit galt es zu überbrücken, bis im Frühjahr gesät werden konnte. So wundert es kaum, dass gerade dann die Passions- und Fastenzeit gefeiert wurde.
Gefastet wurde übrigens auch in der „staden Zeit“! Im Gegensatz zum gegenwärtigen Überfluss mit Köstlichkeiten aus aller Welt. Die vielen Stollen, Lebkuchen und Plätzchen, das waren ehemals „Dauerbackwaren“ mit langer Haltbarkeit für die karge Winterszeit, die „früher“ kulinarisch nur das zu bieten hatte, was sich auch lagern ließ. Wann und wieviel davon gegessen wurde, war streng reguliert. Es war also in gewisser Weise eine erzwungene „stade Zeit“, eine Zeit, vor der sich viele wahrscheinlich auch gefürchtet hatten. Aber es war eine Zeit der Regeneration, nicht nur für die Menschen, auch für die gesamte Natur. Eine erzwungene Ruhe vielleicht, aber anscheinend auch eine notwendige und schließlich wohltuende Ruhe, in der man seine äußeren und inneren Kräfte sammeln konnte, um sie dann im Frühjahr zum Aufblühen zu bringen.
Den Rhythmus der Natur, den haben wir ausgehebelt, auch die lange Dunkelheit kann uns nicht mehr schrecken. Und still geht es in der Adventszeit schon lange nicht mehr zu. Die Weihnachtslieder schallen uns aus allen Ecken und Enden entgegen, dazu der Verkehrslärm, die vielen Menschen in den Einkaufszentren und den unzähligen „schönsten“ Weihnachtsmärkten. Zeiten und Orte der Stille zu finden scheint kaum möglich, nicht einmal so richtig in den Kirchen. Auch hier reihen sich Angebote an Angebote, wird versucht, so viel Menschen wie möglich mit der weihnachtlichen Botschaft zu erreichen – irgendetwas mit „Frieden auf Erden“ – die aber im allgemeinen Lärm kaum Gehör findet. Eine gelungene Karikatur von Thomas Plaßmann zeigt, wie Menschen Schlange stehen, um sich per Kopfhörer einen Augenblick Stille zu kaufen, mit ihren Einkaufstüten in der Hand. In der Tat gibt es jetzt Kopfhörer, die aktiv den Außenlärm für die eigene Wahrnehmung minimieren.
Wahrscheinlich bräuchten wir alle eine „stade Zeit“, in der nicht nur alles um uns herum stiller, leiser und langsamer vor sich ginge. Wir bräuchten auch eine Zeit, in der „alles in uns schweige“, damit der Kompass unserer Seele wieder seine Ausrichtung finden kann und nicht wie irr in alle Richtungen ausschlägt. Um still werden zu können, zumindest etwas stiller, hilft mir vor allem mein liebstes „Adventslied“ von Gerhard Tersteegen „Gott ist gegenwärtig“ oder irgendeine Melodie aus Taizé oder ein gesungener Psalm, den wir aber in Nürnberg alleine für uns anstimmen oder uns von der CD vorspielen lassen müssten. So weit ich weiß, gibt es hier nirgendwo eine Möglichkeit, gemeinsam das Stundengebet zu begehen.
Orte der Stille in der Stadt bleiben für mich aber (noch) die Kirchen, vor allem „meine“ Sebalduskirche, die Jakobskirche und die Klarakirche, die einem optisch schon viel Klarheit schenkt. Hier kann ich trotz vielfacher Außengeräusche und dem Aufruhr im Inneren noch einigermaßen zur Ruhe kommen, auch in der turbulenten und nimmermüden „staden Zeit“. Und dann werden wir vielleicht auch bereit für die „Stille Nacht“.