Oft bin ich an dieser Straßeneinmündung vorbeigeradelt, ohne dass mir etwas aufgefallen wäre. Warum ich plötzlich bemerkte, dass an diesem Schild etwas anders war als sonst, weiß ich nicht. Nach einigen Metern bin ich stehengeblieben und dann zurückgefahren. Dann erst erkannte ich, was an dem Sackgassenschild verändert wurde, wie es verwandelt wurde in ein modernes Marterl!
Wenige Tage zuvor war ich mit meiner Frau noch unterwegs in der Oberpfalz, ein paar Tage wandern. Beinahe jeden Kilometer kamen wir an einem Marterl vorbei, an einer kleinen Kapelle oder einem Kreuzweg, an Kirchen in beinahe jedem Ort sowieso. Immer wieder wurden wir eingeladen, stehenzubleiben und innezuhalten. Immer wieder begegneten wir auf unserem Weg den Gekreuzigten, einem oder einer Heiligen, und Maria natürlich. Zeichen der Begleitung, so nahmen wir schließlich diese Botschaft war, du bist nicht alleine unterwegs, hier sind schon viele entlang gegangen, mehr oder weniger beladen mit den Lasten ihres Lebens. Hier konnten sie Halt machen, still werden, Zwiesprache halten, sich ansprechen lassen, Trost und Ermutigung empfangen, oder einfach ruhig werden, loswerden, was ihnen auf den Schultern und der Seele lastete.
Manch einer allerdings mag auch schon früher die Gegenwart Gottes in dieser Form als eine Provokation empfunden haben. Die Orientierung der Christen an einem Gekreuzigten wurde schon zu neutestamentlichen Zeiten als eine Herausforderung empfunden, auf die die einen mit Aggression reagierten, die anderen aber mit Anteilnahme, sie ließen sich davon berühren, dass einer aus Liebe zu den Menschen seinen Leben hinzugeben bereit gewesen ist.
Heute macht es Menschen aggressiv, wenn Rettungswägen „im Weg stehen“ oder den Parkplatz blockieren. Sanitäter und Notärzte werden angegriffen, obwohl sie sich gerade um das Leben eines verunglückten Menschen kümmern! Menschen, die sich um Vermittlung und Verständigung zwischen verfeindeten Fronten bemühten, lebten schon immer gefährlich, wurden verachtet. Der Reformator Philipp Melanchthon, der sich sehr für einen Ausgleich zwischen der katholischen und „protestantischen“ Partei einsetzte, wurde schon damals sehr misstrauisch beobachtet und später als „Vermittlungstheologe“ verschrien. Das durfte man keinesfalls, die Meinung eines anderen zu verstehen versuchen, sich hineinzudenken in die Motivation eines anderen! Und nun hier, der Gekreuzigte, an einem Straßenschild, ausgerechnet an einer Sackgasse. Was soll uns das zu denken geben? Oder war es nur Zufall, dass der Künstler (?) dieses Schild gewählt hatte? Mir ist noch nicht aufgefallen, dass jemand bei diesem Schild stehenbleibt, innehält und es betrachtet.
In Nürnberg, zumindest in der Innenstadt, kann der aufmerksame Fußgänger oder Fahrradfahrer übrigens eine Reihe von Darstellungen Mariens an Hauswänden- oder ecken entdecken. Auch die berühmten Erker dienten früher als Hauskapelle. Es gibt sie noch, diese verstörenden Zeichen auf ein anderes Leben, ein Leben, das sich an dem orientiert, der sein Leben aus Liebe zu den Menschen hingegeben hat. Die Sackgasse könnte so zu einem Zeichen werden, das einlädt, umzukehren, ein anderes Leben zu beginnen.