Predigt zum Gemeindefest der Thomaskirche, 27. September 2020

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter

Liebe Gemeinde,
suchen Sie noch oder leben Sie schon?
Was für eine Frage?
Da passt doch was nicht, werden sich einige von ihnen denken. Das muss doch heißen: Suchen Sie noch oder haben Sie schon gefunden?
Und was ist es eigentlich, nach dem Sie suchen sollen, das so wichtig ist, dass es gleich im ersten Satz der Predigt aufgeworfen wird?
Unser kleines Anspiel vorhin hat uns schon neugierig gemacht und manch einen von uns schon nachdenken lassen.

Ich verlese noch einmal den heutigen Predigttext:


Die kostbare Perle des Glaubens, Mt 13,44-46

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte und kaufte den Acker. Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte und kaufte sie.


Zwei Sätze nur, liebe Gemeinde und zwei große Geschichten. Zwei Momente nur – und zwei umgekrempelte Lebensläufe. Zwei unterschiedliche Menschen, die etwas Wunderbares finden und nichts bleibt, wie es war.
Um das Finden geht es in den beiden Gleichnissen, die Jesus da erzählt. Um die Freude des Findens.
Aufgrund dieser Freude bleibt nichts wie es war!
Ver-rückt ist das, im buchstäblichen Sinn des Wortes.
Diese beiden Kurzgleichnisse Jesu lassen unglaubliche Emotionen hochkommen. Sie gehören zur Weltliteratur.

Werfen wir einen Blick in die Zeit der Entstehung dieser 2 Gleichnisse:
Zurzeit Jesu gehörten in Palästina nur wenige Prozent der Oberschicht und nur wenige Prozent der Mittelschicht an.
60 Prozent Unterschicht und 30 Prozent Entwurzelte.
Im ganzen Land machte sich ein Verelendungsprozess breit.

Während der Besetzung des Landes durch die Römer kam es zu Landenteignungen. Anhaltende Zeiten der Dürre zwangen viele Menschen zur Auswanderung. 1 Mio Juden lebten in Palästina, 5 Mio Juden lebten schon außerhalb des Heimatlandes.
Viele Menschen waren in der Schuldenfalle gefangen und mussten Land verkaufen, um Saatgut kaufen zu können.
Vor allem diese Menschen träumten davon, irgendwann einen Schatz zu finden. Im Judentum kursierten deshalb etliche Schatzfundgeschichten, die diese Träume nährten. Der Kleinpächter in unserem Gleichnis findet beim Pflügen einen Schatz: 
Der Holzpflug bleibt auf einmal stecken inmitten der vielen Steine. Der Bauer wird erstmal fluchen. Doch als er merkt, dass er den größten Fund seines Lebens entdeckt hat, wird ihm plötzlich klar, dass er mit diesem Fund eine langfristige Perspektive hat. Nicht nur ein schnelles Glück.
Aber erst einmal muss er ganz cool und besonnen bleiben, denn der Acker gehört ihm nicht. Und so gehört ihm auch der Schatz nicht.

Liebe Gemeinde, sie sehen schon, Finden heißt noch lange nicht Besitzen!
In diesem Gleichnis geht es darum, dass du erstmal in den Besitz kommen musst.
Also: Steht der Bauer dabei vor einer Wahl?… auf keinen Fall… für ihn ist es ganz klar, dass er alles dafür tun muss!
Mit unvorstellbarer Freude geht er heim und verkauft alles was er hat, was ihn bisher im Leben gehalten hat, vielleicht sogar gefangen gehalten hat, um den Acker zu kaufen.
Dass er sich dafür entschieden hat, verdankt er dem Schatz.
Er handelt konsequent!
Aber was macht er mit dem Schatz?
Jesus erzählt nichts davon, was der Finder jetzt mit dem Schatz macht … Das spielt bei dem Gleichnis keine Rolle.
Es geht um eine Entscheidung!
… nicht um die Folgen, die ergeben sich von selbst!

Jesus erzählt dazu noch die Geschichte mit dem Perlenkaufmann.
Wieder eine außergewöhnliche Erzählung.
Denn im gesamten Judentum der Antike gibt es keine Perlenfundgeschichte.
Denn Perlenfunde gab es in Palästina nicht, nur im Indischen Ozean oder im Roten Meer.
Perlen kamen im Leben gewöhnlicher Menschen nicht vor. Eine Perle zu besitzen war unglaublich. Nur für die wirklich Reichen möglich.
An dieser Stelle sehen wir, dass sich Jesus auch für die Reichen, für die Großhandelsleute interessiert.
Perlen waren damals wertvoller als Silber und Gold.
Perlen waren der Inbegriff des Schönen und Wertvollen.
Als der Händler diese Perle fand, war er überwältigt und so traf er die schwerwiegendste Entscheidung seines Lebens.
Auch er verkaufte alles, was er hatte, um die Perle zu kaufen.

Wir fragen uns:
Weshalb verwendet Jesus diese Bilder, die bei seinen Zuhörern großes Kopf-Kino entstehen lassen?
Wie redet er von Gott und dem Himmelreich?

Schließen Sie einmal die Augen und lassen Sie die Stichworte vor Ihrem inneren Auge vorüberziehen!

Achten Sie dabei auf Ihre Assoziationen!

– Unverhoffter Schatz – überwältigende Überraschung – wertvolle Perle – Kostbarkeit – überschwängliche Freude – Änderung des ganzen Lebens …

Merken Sie, was in Ihrem Kopf gerade passiert?
Welche Faszination von diesen Gleichnissen der Weltliteratur ausgeht?
 Jesus schafft es, uns mit dieser Gattung der Schatzfundgeschichte klar zu machen, dass jeder Schatz erst einmal verborgen ist.
Jesus verweist seinen Zuhörer darauf:
Bis Du den Schatz Gott entdeckst, meinst Du, ihn gibt es gar nicht. Gott ist verborgen!
Und wenn Du das ernst nimmst, dann weißt Du, Gott ist keine Tatsache, kein Objekt, Gott ist eine Überraschung. Also auch die Vernunft kann Gott nicht wahrnehmen!
Dennoch fragen viele Menschen häufig:
Wer/wo/wie ist Gott?
Wie kann ich in Gemeinschaft mit Gott leben?

Liebe Gemeinde,
keine Wissenschaft, keine Philosophie, keine Theologie kann das klären.
Unser intellektueller Stolz muss hier aufgeben!
Die Verborgenheit Gottes muss angemessen gewürdigt werden. Gott ist nicht nur unsichtbar wie die Luft oder der Strom, sondern er ist verborgen. Er erscheint unter keinem Radar. Gott kann nicht vermessen werden.
In unserem Gleichnis findet der Mensch einen Schatz auf einem Acker, den er erst kaufen muss.
So ist das auch mit Gott, er ist nicht von Anfang an dein Eigentum, er ist nicht in der Tiefe Deiner Person oder Deiner Gedanken zu finden; er liegt auf fremdem Territorium.
So spricht der Herr: „Meine Wege sind nicht eure Wege, meine Gedanken sind nicht eure Gedanken.“
Wir müssen seine kategoriale Fremdheit akzeptieren!
Gott ist kein Mensch, Gott ist ganz anders als ich.
Der große Theologe Karl Barth sagte: „Gott ist der ganz andere!“
Gott schenkt das Leben! – eine Überraschung!
Die Auseinandersetzung mit ihm verändert dein ganzes Leben! Unser Verstand kann ihn nicht erfassen.
Die Entscheidung für Gott entstammt der Freude und der Dankbarkeit über den Schatz. In der Kraft des Schatzes wird die Entscheidung gefällt!
 Aber wenn Du den gefundenen Schatz dein Eigentum nennen möchtest und eine Beziehung zu ihm aufbauen möchtest, musst du alles aufgeben!
Das heißt, dass Gott nicht nur zusätzlich erworben werden kann, …. ein wenig, halt ab und zu, mal beim Wandern und mal in einem Gottesdienst …
Gott lässt sich nicht unter Wert finden!
Er will die Nummer eins sein!
Gott ist anspruchsvoll!
Er ist dein Schöpfer, der das Ziel deines Lebens kennt!
Und deshalb spricht Jesus: Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere zufallen!

AMEN