Liebe Gemeindeglieder,
seit Jahren gibt es in der deutschen Öffentlichkeit einen heftigen Streit: Brauchen wir „stille Feiertage“? Lange Zeit hatte man gedacht, Deutschland wäre ein christliches Land und da war ganz klar: manche hohen Feiertage sind von Lärm und heftigen Freizeitaktivitäten freizuhalten. Das hat sich geändert. Die Sportvereine haben die Sonntag übernommen und die Bäcker auch. Und wer am Karfreitag in die Disko gehen will, fragt sich: Wer darf mich daran hindern?
Wer darf dich daran hindern? Corona offenbar. Die Pandemie beschert uns nicht nur „stille Feiertage“, sondern sogar ganze „stille Wochen“. Tut die Stille gut? Oder macht sie Angst?
Der Karfreitag ist der klassische stille Feiertag. Das bei der Hinrichtung von Jesus nicht gefeiert wird, ist doch klar, oder?
Nein, es ist nicht klar. Im mittelalterlichen Nürnberg waren Hinrichtungen große Volksfeste. Da konnte man essen und trinken und die Hinrichtung genießen.
Das war bei Jesu konkreter Hinrichtung auch nicht besser. Bekanntlich machten sich die Soldaten sogar einen Spaß daraus, ihn mit einer Dornenkrone zu verhöhnen. Die Königskrone Jesu war eine Dornenkrone. Und seine Erhöhung zum König hieß: Wir erhöhen ihn ans Kreuz. Da kann ihn dann jeder sehen. Heute würden sich vielleicht Fernsehsender wie RTL um die Übertragungsrechte balgen.
Würden die Zuschauer merken, was da geschieht? Würden sie merken, dass sich Gott in unsere Welt einmischt? Würden sie merken, dass Gott unserer Welt so nahe kommt, dass er daran stirbt?
Gottes Krönung ist, dass er leidet, dass er leiden kann, dass er zu den leidenden gehört. Würde er heuer symbolisch eine „Corona“ aufgedrückt bekommen? In den Zeiten von Pest, von den großen Seuchen hat man genau dieses dargestellt: Jesus infiziert sich mit uns. Das verdeutlichen die großen und kleinen Passionsspiele. Für 2020 hat Jesus in Oberammergau abgesagt. Corona ist ihm zu gefährlich.
Gut, dass wir neben dem langmähnigen Oberammergauer Jesus noch einen echten haben. Der hat nicht abgesagt. Der ist bei uns, auch wenn die Stille der Tage uns bedrückt.
Ihr Pfarrer Volker Schoßwald, Thomaskirche