Jesus feiert mit zwölf ausgewählten Jüngern in Jerusalem das Passafest. Er gedenkt mit ihnen an den Auszug Israels aus der Sklaverei in Ägypten und an den Weg durch die Wüste hin zum gelobten Land. Jesus gibt dem Mahl eine neue Bedeutung. Mit ihm beginnt ein neuer Bund, ein neuer Auszug aus der Gefangenschaft, mit ihm bricht an das neue Reich Gottes.
In den ersten christlichen Gemeinden wurde dieses Mahl mit der neuen Bedeutung gefeiert. Zunächst Abend für Abend in verschiedenen Wohnungen oder Häusern der Gemeindeglieder, später im Morgengrauen des ersten Tages der Woche, unseres heutigen Sonntags.
Dabei kam es zu Unstimmigkeiten und Ärger. Paulus berichtet davon in seinem Brief an die Korinther. Er ermahnt, das Abendmahl „würdig“ einzunehmen. Dieser Begriff entwickelte im Lauf der Geschichte eine eigene Dynamik, wurde zur angstbesetzten Vokabel. Wer ist würdig? Was bedeutet es sich würdig zu verhalten?
Sehen wir uns doch noch einmal die letzte Passafeier Jesu mit seinen Jüngern, für uns die erste Abendmahlfeier, an. Vielleicht finden wir da eine Antwort? Wer waren diese Männer?
Nehmen wir die Liste 12 Apostel aus dem Matthäus-Evangelium. (Die Namen stimmen nicht ganz mit denjenigen aus den anderen Evangelien überein):
Simon, genannt Petrus; Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus; Johannes, sein Bruder; Philippus; Bartholomäus; Thomas; Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus; Thaddäus; Simon Kanaanäus; Judas Iskariot.
Da waren die Brüder Simon, genannt Petrus und Andreas. Beide einfache Fischer am See Genezareth. Sie waren die ersten, die seinem Ruf folgten. Petrus ist uns gut bekannt. Er wird von Jesus auserwählt, die Schar der Jünger nach seinem Tode zusammen zu halten, und die frohe Botschaft weiter zu geben.
Eine rühmliche Rolle hat Petrus in den letzten Stunden Jesu nicht gespielt. Eingeschlafen ist er im Garten Getsemane, geflohen ist er mit den anderen, nachdem er mit dem Schwert zugeschlagen hatte. Dreimal verleugnete er Jesus, als er im Hof des Pilatus angesprochen wurde. Auch zum Kreuz folgte er nicht. Die Nachricht von der Auferstehung wollte er den Frauen zunächst nicht glauben. Merkwürdig, fast peinlich der Wettlauf zum Grab. Nach dieser Zeit scheint Petrus Jesu zunächst „die Sache Jesu“ aufgegeben und sein Fischerhandwerk am See Genezareth wieder betrieben zu haben. Von hier aus erhält er dann erneut die Berufung, die frohe Botschaft Jesu weiter zu sagen.
Andreas sein Bruder wird nicht weiter erwähnt. Offenbar ein stiller Mitläufer, ohne besonderes Engagement.
Dann die beiden Brüder Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus. Auch sie waren mit Jesus besonders vertraut, erleben sie doch zusammen mit Petrus die Verklärung Jesu am Berg Tabor. Doch sie streiten sich noch zu Jesu Lebzeiten um den Sitz am himmlischen Thron. Offenbar waren sie sehr ehrgeizig, vielleicht auch ehrsüchtig. Vielleicht erhielten sie deswegen den Beinamen: Donnersöhne. Bei dieser „Karriereplanung“ wurden sie von ihrer Mutter unterstützt. Auch sie schlafen ein im Garten Getsemane, fliehen und tauchen zunächst nicht mehr auf.
Auch Philippus war anscheinend Fischer am See Genezareth, vielleicht war er griechischen Ursprungs, zumindest sprach er diese Sprache offenbar so gut, dass er sich später besonders um die griechischsprachigen Christen in Jerusalem kümmern sollte. Einmal wird er von Jesus zurechtgewiesen, weil er ihn nicht richtig versteht. Aber dieses Problem hatten wohl alle Jünger: Es viel ihnen schwer manches von dem, was Jesus sagte zu begreifen. Manchmal scheint Jesus ein bisschen verzweifelt, wegen ihrer Begriffsstutzigkeit, wenn sie ihm trotz seiner eingehenden Erklärung wieder einmal nicht folgen können.
Bartholomäus wird nicht weiter erwähnt. Manche meinen er sei mit dem Nathanael aus dem Johannes Evangelium identisch? Aber vielleicht waren es einfach nicht immer die gleichen 12 Apostel, die Jesus als besonderen Kreis um sich scharte. Und es war einmal Bartholomäus dabei, ein ander Mal eben Nathanael?
Thomas ist uns schon wieder bekannter. Der sogenannte Ungläubige, der Zweifler, wie er oft etwas abwertend genannt wird. Er steht stellvertretend für diejenigen, die an die Auferstehung Jesu von den Toten nicht so recht glauben konnten. Ihre Zweifel hatten da wohl alle Apostel und trauten dieser neuen Botschaft erst sehr zögerlich. Aber Thomas hat als einziger den Mut ernsthaft „nachzufragen“. Und Jesus entzieht sich dieser „Nachprüfung“ nicht.
Dann war da noch: Matthäus, auch Levi genannt, der Zöllner war in der Hafenstadt Kapernaum. Von ihm erfahren wir aus dem gleichnamigen Evangelium, wie Jesu ihn in die Nachfolge beruft. Die Zöllner standen in schlechtem Ruf, weil sie mit den römischen „Besatzern“ kooperierten und auch reichlich in die eigene Tasche wirtschaften. Unbestechlich werden sie auch nicht gewesen sein.
Ein weiterer Jünger über den nichts bekannt ist: Jakobus, der Sohn des Alphäus
Schließlich Thaddäus: Auch über ihn lässt sich nichts Näheres sagen. Legenden natürlich, die Jahrzehnte später entstanden sind, als klar wurde, dass über diese Jünger tatsächlich nichts Aussagekräftiges zu erfahren war.
Der vorletzte auf der Liste: Simon Kanaanäus. Er trägt den Beinamen der Eiferer (Zelotes). Er könnte der Aufstandsbewegung gegen die Römer angehört haben. Dieser Verdacht fällt manchmal auch auf weitere Jünger um Jesus, zum Beispiel, auf die beiden Donnersöhne Jakobus und Johannes, oder auf Judas Iskariot. Sie waren vermutlich nicht nur gewaltbereit, sondern waren u.U. an Anschlägen auf römische Soldaten und Einrichtungen beteiligt.
Als letzter auf der Liste, steht der einschlägig bekannte Judas. Ihn unvoreingenommen zu betrachten ist beinahe unmöglich. Dass er Jesus den Römern ausgeliefert hat – zudem noch für 30 Silberlinge – hat ihn zu einer Person non grata gemacht, dessen Name meist nur mit Verachtung ausgesprochen wurde, der sprichwörtliche Verräter, der gewissenlose Seelenverkäufer. Aber auch Judas wird von Jesus nicht verstoßen. Er sitzt mit ihm an der Tafel in der Runde der Zwölf bei der gemeinsamen feierlichen Mahlzeit. Jesus behält ihn bis zuletzt bei sich und verweigert ihm nicht die Gemeinschaft. Eine Exkommunikation durch Jesus findet nicht statt.
Eine illustre Runde. Manch zweifelhafte Gestalt sitzt hier am Tisch. Ehemalige Gewalttäter, Lügner, Betrüger, Zweifler, Verräter, Karrieresüchtige. Die meisten von ihnen könnte man schief von der Seite anschauen. Ob sie heute unser Vertrauen gewinnen würden?
So zweifelhaft uns der Charakter und die Vergangenheit des einen oder anderen uns erscheinen mögen. Sie haben eins gemeinsam. Sie sind von Jesus in seine Nachfolge gerufen worden und sind ihm gefolgt, mit ihren Fragen, Zweifeln und Ängsten, ihren Träumen und Allmachtsphantasien.
Jesus hätte sich sicher tollere Typen aussuchen können. Männer mit gutem Ruf, mit hoher Bildung, mit gesellschaftlichem Ansehen. Solche hätte es durchaus gegeben, welche die auch bereit waren, sich für ihn einzusetzen: Nikodemus zum Beispiel, oder Josef von Arimathäa, beides Mitglieder des Hohen Rates in Jerusalem, angesehene Bürger, durchaus mit Einfluss.
Wer ist würdig? Wie verhalte ich mich würdig? Fragen, die wir uns stellen, wenn wir uns am Tisch des Herrn versammeln. Fragen, auf die wir keine Antwort geben können. Diese Fragen wurden bereits für uns beantwortet. Die Würde oder die Würdigkeit hier herzuzutreten, sie liegt nicht in unserem Verhalten oder unserem Charakter. Die Würde liegt nicht in unserer Begabung oder unserer Eignung.
Unsere Würde, unsere Würdigkeit liegt allein im Ruf Jesu. Jesus ruft uns in seine Gemeinschaft. Er ruft uns in seine Nachfolge, so wie wir sind.
In ihm allein liegt unsere Würde begründet. Er möchte uns dabeihaben. Dieser Grund ist ausreichend. Eine andere Begründung braucht es nicht. Er ruft uns heute zu sich. Und so wie wir sind feiern wir mit ihm, in seiner Gegenwart, das Heilige Abendmahl, den neuen Bund.
Doch noch in dieser Nacht werden wir einschlafen, wenn wir wachen sollten, werden wir fliehen, wenn er bedroht wird, werden ihn verleugnen, wenn wir nach ihm gefragt werden, werden wir ihn verraten und verkaufen, werden wir ihn den Weg des Sterbens alleine gehen lassen.
Und doch wird er uns wieder rufen, wird Jesus uns wieder zusammenbringen, an seinem Tisch. Und doch wird uns Jesus „würdig“ erachten, in seiner Gegenwart das Abendmahl zu feiern.