Jesus im Garten Gethsemane

Wer aufmerksam um die Sebalduskirche geht und die in Stein gehauenen Bildwerke an der Außenmauer betrachtet, dem wird auffallen, dass ein Motiv mehrmals dargestellt wurde.

Auf dem ersten Blick ähneln sich die Darstellungen. Im Einzelnen setzen sie aber durchaus unterschiedliche Akzente. Sie zeigen Jesus im Garten Gethsemane, aufrecht kniend oder vorneübergebeugt, im Gebet vor dem Angesicht seines Vaters, der sich ihm, entgegen der biblischen Darstellung, aus dem Himmel segnend zuwendet oder durch einen Engel mit einem (unleserlichen) Spruchband vertreten wird. Die drei ausgewählten Jünger Petrus, Jakobus und Johannes sind fest eingeschlafen, teilweise auf Bücher gestützt, Bibeln oder Gebetbücher, aus denen sie vielleicht gerade noch Gebete gesprochen haben, so wie es Jesus von ihnen gewünscht hatte: „Bleibt wach und betet, damit ihr die kommende Prüfung besteht.“ (Mk 14,38 Basisbibel) Die Jünger verschlafen, sieht man die Steinreliefs, sogar noch die mit Fackeln und Waffen versehene Schar von Männern, die sich offensichtlich nicht besonders leise dem Gesuchten nähern. Unter ihnen Judas, gekennzeichnet mit dem Beutel voller Silberlinge, die er dafür erhalten hatte, dass er die Soldaten und Ratsherren im Schutz der Nacht zu Jesus führen würde, damit sie ihn ohne Aufsehen gefangen nehmen könnten. Bestürzend zu erkennen mit welchem Eifer die Männer bei dieser Gefangennahme vorgehen.

Diese Reliefs waren im späten Mittelalter beinahe überall an den Kirchen an der dem Friedhof zugewandten Seite zu sehen. Viele sind dort immer noch zu finden, obwohl die meisten Friedhöfe aufgelöst worden sind, wie auch bei der Sebalduskirche. Hier werden keine Gräber mehr von Trauernden aufgesucht. Die Gethsemane-Reliefs hatten wohl den Sinn in der Trauer zu trösten, Mut zu machen den Schmerz der Trennung auszuhalten und vielleicht auch die Angst vor dem Tod und dem Gericht Gottes zu lindern. Die Reliefs zeigen den an den Gräbern stehenden: Jesus selbst leidet, er geht den Weg in den Tod, weil Gott ihn auf diesem Weg ans Kreuz führt und – das könnte die zentrale Botschaft dieser Darstellungen sein – so führt er auch die vertrauensvoll Glaubenden durch den Tod hindurch zu neuem Leben. Denn dahin läuft der, zunächst nicht unbedingt sofort nachvollziehbare, Gehorsam Jesu hinaus: Auf die Auferstehung die Toten, die auch die erwartet, die hier begraben liegen.

Wie schon festgestellt: Die meisten Friedhöfe um die Kirchen herum sind aufgelöst worden. Haben diese Darstellungen also ihre Aufgabe verloren? Können sie den flüchtigen Passanten heute noch ansprechen? Können sie trösten oder neuen Lebensmut schenken? Können sie die Nähe Gottes bewusstmachen, auch wenn Menschen sich gottverlassen fühlen, einsam und alleine? Oder bedeutet uns diese Nähe gar nichts mehr? Wenden wir uns nicht längst anderen Tröstern zu, die uns besser zu helfen versprechen? Wer hat denn noch die Geduld und Ausdauer, um mit Gott im Gebet um den Segen zu ringen? Wer sieht noch den Sinn eines solchen Betens, wie es Jesus im Garten Gethsemane vormacht? Erscheint uns das nicht nutzlos? Es hilft ja doch nicht!

Zumindest nicht in unserem Sinn. Denn wenn der Kelch nicht an uns vorüberginge, wer wäre dann schon bereit, den Weg des Gehorsams zu gehen und sein Leben aus Liebe für andere, die er vielleicht gar nicht kennt, zu lassen? Wer würde, durch so eine Darstellung angeregt, sein Leben vertrauensvoll in die Hände Gottes legen in der Erwartung einst von den Toten zu einem neuen unvergleichlichen Leben auferweckt zu werden? Fragen, die uns solche alte Darstellung stellen könnte, wenn wir sie einmal eingehend betrachten und auf uns wirken lassen.

Aber vielleicht sind wir schon zu sehr Passanten geworden und eilen, mit anderen Gedanken beschäftigt, an ihnen vorüber. Bleibet und wachet mit mir? Wir haben keine Zeit stille zu werden und mit Jesus ein Gebet zu sprechen. Schlafen, wie die Jünger, werden wir nicht, aber bei Jesus bleiben in seiner Not wohl auch nicht. Keine Zeit! Wir müssen weiter! Die Zeit drängt! Aber wohin?